Ein Appell an die Familie
Hey ihr, ich möchte einmal was loswerden, weil es mir wirklich wichtig ist.
Ich weiß, wir haben uns in der Vergangenheit kaum über Politik ausgetauscht, und bei unseren Familienfeiern habe ich das auch eher als schwieriges und aufgeladenes Thema kennengelernt. Ich glaube aber, dass ich etwas zur aktuellen Situation sagen und auch versuchen muss, euch zu sensibilisieren. Falls ihr es nicht mitbekommen habt: am 29. Januar haben CDU/CSU und FDP gemeinsam mit der AfD für einen Entschließungsantrag im Bundestag gestimmt, der mindestens polarisierte aber von vielen Menschen als stark ausländerfeindlich gesehen wird und zudem »der erste Beschluss des Bundestages in einer Sachfrage, die mit Stimmen der vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextrem eingestuften Partei Alternative für Deutschland zustande gekommen ist«. Die Mehrheiten waren dabei schon vor der Abstimmung relativ klar und die CDU als Antragsstellerin wusste auch genau, dass der Antrag nur mit den Stimmen der AfD (und FDP) durchzusetzen ist. Und so ist es dann auch gekommen. Das heißt, dass wir seit Ende des Dritten Reichs erstmals wieder in einer Situation sind, in der demokratische Parteien mit rechtsextremen gemeinsam Mehrheiten bilden, sie suchen oder mindestens in Kauf nehmen.
Für mich ist dabei auch völlig egal, ob diese Mehrheiten durch aktive Absprachen entstehen oder durch eine »Duldung«, denn am Ende haben sie
- einen Antrag eingebracht, der eine so rechte Position vertritt, dass die AfD bereit war, ihn mitzutragen, und
- wissentlich mit den rechtsextremen Stimmen der AfD diesen Antrag auch noch durchgebracht.
Das ist Fakt.
Und das macht mich traurig, wütend und es macht mir Angst vor der bevorstehenden Bundestagswahl. Denn nachdem Rechtsextreme schon seit Jahren über gezielte Themensetzung in den Medien Druck ausüben und den Rechtsruck anstoßen, bestimmen sie jetzt wieder aktiv mit über unsere Politik. Das kann ich nicht hinnehmen, ohne davor zu warnen und dagegen Haltung zu zeigen — auch hier.
Ich traue in dieser Familie niemandem zu, tatsächlich die AfD zu wählen. Ich möchte aber trotzdem an euch appellieren, das nicht zu tun und auch der CDU/CSU oder FDP nicht eure Stimmen zu geben. Sie haben gerade genau gezeigt, worauf es bei einer Regierungsbeteiligung mit ihnen hinausläuft: dass wieder mit Faschisten Gesetze gemacht werden. Bei den aktuellen Umfragewerten der CDU wird es wohl auf einen Kanzler Friedrich Merz hinauslaufen, das ist kaum noch zu verhindern. Aber ich halte es für wahnsinnig wichtig, ein stabiles politisches Gegengewicht dazu zu schaffen. Ich will euch nicht überreden eine bestimmte andere Partei zu wählen aber aus meiner Perspektive gibt es momentan nur wenig echte Alternativen. Ich bitte euch, eine Partei zu wählen, die realistisch in den Bundestag kommt und damit der AfD Sitze abnimmt und das Kräfteverhältnis im Bundestag zur Mitte hin beeinflusst. Ich weiß, dass keine Partei perfekt ist und SPD und Grüne haben sich unter der Ampel bei einigen Themen auch nicht mit Ruhm bekleckert. Und wir werden auch nie mit allen Standpunkten einer Partei 100% einverstanden sein. Aber ein paar Punkte, die einleuchtend sind und eine Verbesserung für uns — die Mitte der Gesellschaft — bedeuten, sind immer noch besser als Stillstand oder Rückschritt. Für mich heißt das: sich zwischen Grünen, SPD oder der Linken zu entscheiden. Kleinere Parteien haben nach aktuellen Umfragen keine Chance, in den Bundestag einzuziehen. Parteien wie Volt zu wählen würde also nur dazu führen, dass demokratisch gesinnte Stimmen wegen der Fünfprozenthürde unter den Tisch fallen.
Ich hoffe sehr, dass allein der Umstand, dass ich mich in dieser Runde überhaupt so politisch äußere, euch zeigt, wie wichtig mir das Thema ist. Und dass ich euch mit diesem Text erreiche und überzeugen kann, pro-demokratisch zu wählen und nicht von Hetze und Hass leiten zu lassen.
Den obenstehenden Text habe ich vor einigen Tagen, in leicht geänderter Fassung, in einem Gruppenchat meiner Familie gesendet. Ich stehe auch über diesen Kontext hinaus zu meinen Worten und hoffe, dass sie andere dazu ermutigen, ebenfalls das Gespräch mit Angehörigen zu suchen. Der Text kann frei kopiert werden.