Offener Brief an die Deutsche Bahn
Liebe Bahn,
wir kennen uns. Ich dich wahrscheinlich etwas besser als du mich, doch mein Name steht irgendwo in deiner schier endlosen Kundendatenbank, also könnte ich dir schon aufgefallen sein. Ich bin nämlich schon einige Zeit lang dein Kunde. Ich habe zwar keine Bahn-Card oder sowas, aber alle paar Wochen schiebe ich dir „ein wenig“ Geld zu, und du fährst mich dafür quer durch Deutschland, damit ich ein paar Freunde besuchen kann. Du bist „ein wenig“ teuer, das weißt du sicher selbst. Wärst du es nicht, würde ich wohl noch viel öfter mit dir fahren, doch würde ich noch viel lieber mit dir fahren, wenn es nicht immer so nervenaufreibend wäre, wenn ich dich benutze.
Ich komme viel rum in Deutschland und auch an meinem Wohnort bezahle ich viel Geld für ein Semesterticket, um deine private Tochter – die NordWestBahn – zu benutzen, mich zur Hochschule und zurück zu bringen. Die Kollegen der Tochter kennen mich sogar noch etwas besser als du, denn im Gegensatz zu dir twittern sie.
Auf Twitter bin ich viel aktiv und die meisten Ziele in ganz Deutschland besuche ich nur, um meine im Internet gewonnenen Freunde zu besuchen. Das hört sich für dich sicher alles etwas neumodisch und überflüssig an. Aber frag doch einfach mal deine liebe Tochter NordWestBahn, was für ein Service Twitter für uns Reisende bieten kann.
Auf Twitter weiß man jedenfalls, dass ich eigentlich viel von dir halte. Ich lobe dich oft und auch die meisten anderen Twitterer wissen genau so um deine Vorteile. Denn du bist kostengünstiger im Vergleich zum Autofahren. Und … Naja, eigentlich war es das auch schon. Denn ansonsten bietest du keinen Mehrwert, der die Tortur rechtfertigt, die man jedes Mal mit dir erlebt.
Viele Reisen hab ich mit dir und deiner Tochter schon gemacht, mit DB auf langer Fahrt, mit NWB auf kurzer. Doch leider sind die einzigen Fahrten, auf denen ich nie groß mit euch zu kämpfen hatte die deiner privatisierten Tochter in Niedersachsen. „Nie groß zu kämpfen“ heißt eine für mich nachvollziehbare Verspätung. Etwas, das sich verkraften lässt. Für mich sind das 20 Minuten. Das ist die Obergrenze dessen, was man einem zahlenden Fahrgast zumuten kann. Damit bin ich wahrscheinlich schon sehr großzügig und nicht viele meiner Mitreisenden bringen eine solche Geduld auf. Doch die NWB hat es in diesem Rahmen gut im Griff.
Heute habt ihr leider beide versagt und deshalb schreibe ich hiermit an dich und meine Leidensgenossen. An dich, damit ich meinen Frust loswerden kann und an meine Leidensgenossen, damit sie sagen können „Genau! So sehe ich das auch!“ und sich in ihrem Leid nicht so alleine fühlen. Dass ich diesen Brief nur schreibe, um meinen Frust loszuwerden und nicht etwa, um auf etwas Besserung zu hoffen, liegt auf der Hand. Das große Theater mit dir gibt es schon eine Ewigkeit lang. Seit ich denken kann und weiß, dass es dich gibt, weiß ich auch, dass du unzuverlässig bist. Wenn ich pünktlich von A nach B kommen will, dann baue ich besser nicht zu fest auf deine Gleise, denn am Ende hab ich wohlmöglich Pech – so wie es auch heute wieder war.
Am Samstag hast du mich vom kleinen Sande in Niedersachsen bis ins große Köln in Nordrhein-Westfahlen gebracht. Bereits auf der Hinfahrt hattest du zu kämpfen. Zwar ging es bis Osnabrück Hbf mit der NWB reibungslos voran, doch alsbald ich in den IC2025 Richtung Köln Hbf steigen wollte gab es Probleme. Du kamst zu spät, wie so oft, und diesmal waren es von dir angekündigt „wenige Minuten“, aus denen schnell fünf wurden. Das ist im Rahmen und ich hätte dir sofort verziehen – wäre da nicht das Chaos beim Einsteigen gewesen. Deine Mitarbeiter waren unhöflich und das stieß mir auf, sie scheuchten uns Kunden flapsig in die Wagen, während wir verzweifelt nach den Wagennummern suchten. Die elektronischen Anzeigen dafür waren nämlich offenbar ausgefallen und zudem besagte die Laufschrift am Bahnsteig, dass die erste und zweite Klasse heute in umgekehrter Reihenfolge standen. Das Chaos war perfekt und bis ich meinen reservierten Platz gefunden hatte, quälte ich mich durch die, mit Koffern vollgestellten, Gänge von drei Waggons.
Da fragt sich so mancher sicher, warum die Wagen überhaupt in umgekehrter Reihenfolge stehen. Oder warum die elektronische Nummerierung ausgefallen war. Ich jedenfalls tue das. Ich frage mich, wie so etwas zustande kommt, während mir die Verspätung eigentlich schon am Allerwertesten vorbei geht.
Doch weiter im Text. Da wir die Verspätung auch nicht mehr aufholten, ich dann fünf Minuten Verzug in Köln an und konnte dort mit vielen Freunden einen tollen Tag verbringen. Der liebe Patta nahm mich dann bei sich auf, damit ich nicht noch in der Nacht zurückfahren musste, also fuhren wir von Köln aus zu ihm nach Hause, nach Dinslaken – wieder mit dir! Aber rate mal, liebe Bahn, was uns passierte? Möglicherweise weißt du es nicht, denn bei dir scheint der Kopf nicht zu wissen, was der Hintern tut. Jedenfalls hatte dein RegionalExpress RE5, der zwischen Koblenz und Emmerich verkehrt in Köln satte 50 Minuten Verspätung. Doch angesichts der guten Gesellschaft Pattas verzieh ich dir abermals für die geklaute Stunde und so kamen wir später als gedacht in unseren Betten an.
Um das Wochenende aus menschlicher Sicht perfekt zu machen, fuhren Patta und ich am Sonntagmorgen dann noch nach Gelsenkirchen zu Dave. Diesmal mit dem Auto, das war einfacher und Patta sollte mich direkt nach dem Besuch bei Dave zum Bahnhof nach Oberhausen bringen, damit ich zurück nach Hause komme.
Am Oberhausen Hbf kamen wir auch pünktlich, und sogar mit etwas Zeitpuffer, an. Leider kamst du wieder nicht so wie versprochen. Eine Viertelstunde lagst du mit dem IC2004 in der Zeit zurück, von dem ich gehofft hatte, dass er mich nach Münster bringt, von wo ich nach Osnabrück fahren wollte. Schon mit der anfänglichen Verspätung hätte ich den Anschlusszug nicht geschafft und das Chaos wäre perfekt gewesen. Doch zum ersten Mal in all der Zeit hatte ich ein wenig Glück um Unglück. Denn mein Anschluss, der IC2408, hatte ebenfalls Verspätung – zunächst eine halbe, dann später sogar eine ganze Stunde –, sodass zumindest der Anschluss bis Osnabrück gerettet war.
Der Rest der Fahrt verschob sich dadurch allerdings natürlich auch eine Stunde. Denn statt in Osnabrück die NordWestBahn um 19:01Uhr nehmen zu können, musste ich eine Stunde warten und konnte dann erst um 20:01Uhr weiter Richtung Endziel Sande. Und um die ganze Wahrheit zu erzählen: Auch die NWB hat es dann diesmal vergeigt. Denn seit 20:01Uhr waren bereits 25 Minuten ins Land gezogen, bevor sich der Zug auf meiner letzten Teilstrecke in Bewegung setzte – Ja, deine Tochter fuhr bereits am Startpunkt mit einer Verspätung von 25 Minuten los. Etwas, dass ich bisher für unmöglich gehalten hatte.
Doch das Wochenende hat mich in vielerlei Hinsicht eines besseren belehrt. Es hat mir zwar gezeigt, dass man auf Twitter wundervolle Menschen kennenlernen kann und sie außerhalb des Internets noch viel wundervoller sind. Doch über den sieben Stunden Aufenthalt in Köln mit eben jenen Menschen liegt ein großer Schatten. Der Schatten deiner Unzulänglichkeiten legt sich auch nach dieser kleinen Reise wieder über die schönen Ereignisse und verdirbt meinen Eindruck und meine Laune. Statt voller Fernweh und in der Lust auf ein nächstes Treffen mit diesen wundervollen Twitter-Menschen – zu deren Wohnort ich natürlich mit dir fahren würde, liebe Bahn – sitze ich hier angefüllt mir Wut und Entsetzen über dein unglaublich schlechtes Verhalten.
Was ich schilderte ist nur der Momentausschnitt einer einzigen Reise. Sicher fährst du irgendwo in Deutschland zu irgendeiner Zeit auch pünktlich. Doch diese Reise war eine von meinen vielen. Und keine davon war voll und ganz zufriedenstellend, so wie es sich für ein Unternehmen, dessen einziges Geschäftsfeld es ist, Menschen von A nach B zu bringen und von dem man erwarten kann, dass es sein einziges und tagtägliches Geschäft beherrscht, gehört.
Und so war dieses Wochenende wohl das letzte für eine lange Zeit, an dem ich mich in deine Züge setze. Ich habe dir hunderte Euro hinterher geschmissen, um einfach nur stressfrei von A nach B und wieder zurück zu kommen. Und leider versagst du genau dabei jedes Mal aufs Neue.
Ich weiß nicht, ob sich dein Papa, der Bahn-Chef Grube, mit meinem Geld nur seine Zigarren anzündet oder es wirklich in sein Unternehmen steckt, denn nach Letzterem sieht es eigentlich nicht aus, wenn du so oft immer von Pannen geplagt bist.
Vergiss nicht, ich hab dich immer noch lieb. Aber auch nur weil ich muss, denn mein Semesterticket bei deiner Tochter im öffentlichen Nahverkehr habe ich weiterhin zu bezahlen – ob ich will oder nicht, denn es ist im Semesterbeitrag der Hochschule inklusive. Wenn du dort gute Arbeit machst und ich dich wieder toll finde, gebe ich dir dann vielleicht irgendwann mal wieder eine Chance mich durch Deutschland zu fahren. Doch bis dahin fahre ich lieber mit dem Auto. Da bestimme ich selbst und kann mir das Leben schwer machen – wann und wo ich will. Der Willhaus macht sich selbst mobil.
Liebe Grüße, dein Jan.