Die Zeit läuft
Jens Spahn steht hoch im Kurs für den Unions-Fraktionsvorsitz – nachdem er sich zuletzt mit seinem AfD-Normalisierungvorstoß, aus Sicht einer demokratischen Grundhaltung, zum x-ten Mal politisch und moralisch-menschlich disqualifiziert hatte. Doch was Politiker*innen vor einigen Jahren vielleicht noch den aktuellen und zukünftige Posten gekostet hätte – Anbiederungsversuche an eine rechtsextreme Partei – wird heute mit strategisch wichtigen Posten sogar belohnt. Zumindest in der CDU/CSU. Denn mit Spahn außerhalb der direkten Regierungsverantwortung aber als zentrales Bindeglied zwischen Fraktion und kommender Bundesregierung, kann die Annäherung an die AfD in der neuen Legislaturperiode weiterhin kontrolliert stattfinden, ohne gleich der Bundesregierung direkt zu schaden. So kann sich auch die Regierungskoalition weiterhin mit großen Gesten und starken Worten von der AfD abgrenzen, während ihre Politik trotzdem weiter nach rechts driftet – und der Unionsfraktion trotzdem noch zu links ist. Das lässt sich auch mit der Koalitionspartnerin SPD besser arrangieren.
Ich vermute, dass Jens Spahn und Carsten Linnemann bewusst keine Regierungsämter anstreben. Sie wollen nicht durch eine »linke« Regierung beschädigt sein und später die Annäherung an die AfD anführen.
Es ist ein historischer Fehler der SPD, mit dieser Union, die autoritäre Züge hat, zu koalieren.
Das einzige, womit ich dabei nicht übereinstimme, ist das Wörtchen »später«, denn die Annäherung findet ja schon statt. Zeitgleich erleben wir, dass die AfD erstmals Ergebnisse zur Sonntagsfrage anführt. Erstmal nur bei einzelnen Umfrageinstituten aber es ist zu erwarten, dass eine Union, die sich als AfD-Light geriert zuallererst das Original legitimiert und stärkt1. Und das passt doch irgendwie alles zusammen, auch wenn es sich fast wie ein Verschwörungsmythos liest. Auch das zukünftige Kabinett Merz passt gut dazu.
Aus alledem zusammen leite ich besonders eines ab: dass sich jetzt links der CDU/CDU etwas tun muss. Wir haben jetzt bestenfalls noch vier Jahre Zeit, einem Mitte-Linksbündnis zu einer Mehrheit zu verhelfen, da die Union die AfD ansonsten in die Regierung heben wird.
Wie schaffen wir das? Keine Ahnung, ich stelle hier nur die unangenehmen Thesen auf. Aber links der Union ist ja eigentlich jede Menge Platz; den könnte man ja mal wieder besetzen. Die kommende Bundesregierung lässt bei »Mitte-Linksthemen« wie sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechten, Klimaschutz und Antifaschismus – trotz SPD-Beteiligung – praktisch alles unbeantwortet, was der Breite der Gesellschaft wirklich zu Gute käme — und damit implizit auch dem Rechtsruck entgegenwirken würde. Das macht aktuell nur Die Linke aber – entgegen aller Annahmen – kann sie den Rechtsruck wohl nicht alleine korrigieren2. Gerade die SPD muss (bitte, endlich) wieder zu ihren sozialdemokratischen Werten zurückfinden, sich endlich klar gegen den Rechtsruck positionieren und der Union nicht ohne Not das Steuer der Koalition überlassen. Das gilt besonders wegen der immerwährenden Gefahr des forcierten Koalitionsbruchs durch die Union. Die SPD hat sich mit dieser Koalition (nicht zum ersten Mal) an den Rand der Selbstabschaffung gebracht, weil sie erpressbar ist. Da braucht es von Merz nur noch einen kleine Schubs, und wie gut er das kann, hat er bereits bei der »Dammbruchabstimmung« der Union, FDP und AfD am 29. Januar 2025 unter Beweis gestellt. Da hatte Friedrich Merz im Vorfeld wiederholt betont, dass man ja mit SPD und Grünen habe zusammenarbeiten wollen. Aber mit den »grünen und linken Spinnern« war ja nichts zu machen, dann musste es eben mit der AfD sein. Lieber mit der AfD regieren als gar nicht regieren. Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.
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Hier schockiert mich tatsächlich Realitätsverweigerung der Annäherungsbewegung. Wählerwanderungsanalysen, Politikwissenschaftler*innen, Historiker*innen – alle sind sich einig, dass eine rechtsextreme Politik vor allem dem Original hilft. Trotzdem wird die Normalisierung vorangetrieben. ↩︎
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Überraschung: Ich bin selbst seit einigen Wochen Mitglied der Partei Die Linke. ↩︎