Es ist vor allem das Scheitern der rechtskonservativen Figur Merz und der »Vision«, für die er steht. In kürzester Zeit hat sich die populistische Erzählung von der »Ordnung nach dem Ampel-Chaos« in Luft aufgelöst und die Kanzlerschaft Merz wackelt schon, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Dass der rechteste Kanzler der bundesrepublikanischen Geschichte nicht im ersten Anlauf ins Amt gehoben wird, ist ein Zeichen für den Anfang vom Ende des Rechtsrucks. Das ist vor allem ein Sieg für die politische Linke – das müssen wir jetzt nur für uns zu nutzen wissen.
hiermit reiche ich eine formelle Programmbeschwerde gegen die Ausstrahlung des »ARD-Brennpunkt« vom 2. Mai 2025 um 20:15 Uhr ein. In der Sendung trat Tino Chrupalla, Bundesvorsitzender der sog. »Alternative für Deutschland« (AfD), als Studiogast auf. Anlass der Sendung war die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem durch das Bundesamt für Verfassungsschutz am Morgen des gleichen Tages.
Die Entscheidung, einem Repräsentanten einer vom Verfassungsschutz offiziell als rechtsextrem eingestuften Partei zur Hauptsendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Plattform zu bieten, stellt aus meiner Sicht einen eklatanten Verstoß gegen den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag dar. Insbesondere sind hier § 3 MStV
die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF, das Deutschlandradio und alle Veranstalter bundesweit ausgerichteter privater Rundfunkprogramme haben in ihren Angeboten haben in ihren Angeboten die Würde des Menschen zu achten und zu schützen; die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten
sowie § 26 Abs. 1 MStV
Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist (…) als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen
und § 26 Abs. 2 MStV
die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind bei der Erfüllung ihres Auftrags der verfassungsmäßigen Ordnung und in besonderem Maße der Einhaltung journalistischer Standards, insbesondere zur Gewährleistung einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung wie auch zur Achtung von Persönlichkeitsrechten verpflichtet
einschlägig. Die Einladung eines führenden Vertreters einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei in ein Sendeformat mit solch erheblicher Reichweite kann nicht als Beitrag zu »Meinungsvielfalt« gewertet werden, wenn sie ohne journalistisch-kritische Einordnung der Gefahr geschieht, die von dieser Partei für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgeht. Vielmehr entsteht hier der Eindruck einer Normalisierung rechtsextremer Positionen durch öffentlich-rechtliche Berichterstattung. Das konterkariert die Schutzfunktion, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegenüber demokratischen Grundwerten einzunehmen hat. Matthias Deiß hat in seiner unsouveränen Moderation zudem Herrn Chrupalla nur noch weitere Gelegenheit zur Selbstinszenierung gegeben und damit der journalistisch-kritischen Einordnung einen Bärendienst erwiesen. So blieb beispielsweise auf Chrupallas Forderung nach Herausgabe von Beweisen der dringend notwendige Verweis auf die unzähligen öffentlich verfügbaren Beispiele für rechtsextremistische Rhetorik durch AfD-Anhänger (vgl. afd-verbot.de/beweise) aus.
Ich fordere deshalb eine umfassende und transparente Aufklärung über folgende Punkte:
Wer hat die Entscheidung über die Einladung Tino Chrupallas getroffen?
Welche redaktionellen Erwägungen und Abwägungsprozesse gingen dieser Entscheidung voraus?
Wie wird künftig sichergestellt, dass Vertreter verfassungsfeindlicher Organisationen nicht ungefiltert zur besten Sendezeit Reichweite erhalten?
Mit freundlichen Grüßen.
Den obenstehenden Text habe ich vor einigen Minuten so auch als offizielle Programmbeschwerde an den Rundfunkrat des rbb (als verantwortliche Anstalt der Produktion der Sendung) gesendet. Der Text kann frei kopiert werden.
Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Alternative für Deutschland um eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung handelt. Dieser Befund fußt auf einer äußerst sorgfältigen gutachterlichen Prüfung, die einen Zeitraum von rund drei Jahren umfasst. Wir haben dabei eine Vielzahl von Aussagen und Positionen hochrangiger Parteivertreterinnen und -vertreter aus dem gesamten Bundesgebiet berücksichtigt und auch neueste organisatorische Entwicklungen mit in das Gutachten einbezogen. Maßgeblich für unsere Bewertung ist das, die AfD prägende, ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis, das ganze Bevölkerungsgruppen in Deutschland abwertet und in ihrer Menschenwürde verletzt. Dieses Volksverständnis konkretisiert sich in einer insgesamt migranten- und muslimfeindlichen Haltung der Partei.
— Verfassungsschutz-Vizepräsident*innen Sinan Selen und Dr. Silke Willems
Das AfD-Verbot muss jetzt endlich kommen. Wer das weiterhin verweigert, macht sich zur Mittäter*in.
Jens Spahn steht hoch im Kurs für den Unions-Fraktionsvorsitz – nachdem er sich zuletzt mit seinem AfD-Normalisierungvorstoß, aus Sicht einer demokratischen Grundhaltung, zum x-ten Mal politisch und moralisch-menschlich disqualifiziert hatte. Doch was Politiker*innen vor einigen Jahren vielleicht noch den aktuellen und zukünftige Posten gekostet hätte – Anbiederungsversuche an eine rechtsextreme Partei – wird heute mit strategisch wichtigen Posten sogar belohnt. Zumindest in der CDU/CSU. Denn mit Spahn außerhalb der direkten Regierungsverantwortung aber als zentrales Bindeglied zwischen Fraktion und kommender Bundesregierung, kann die Annäherung an die AfD in der neuen Legislaturperiode weiterhin kontrolliert stattfinden, ohne gleich der Bundesregierung direkt zu schaden. So kann sich auch die Regierungskoalition weiterhin mit großen Gesten und starken Worten von der AfD abgrenzen, während ihre Politik trotzdem weiter nach rechts driftet – und der Unionsfraktion trotzdem noch zu links ist. Das lässt sich auch mit der Koalitionspartnerin SPD besser arrangieren.
Ich vermute, dass Jens Spahn und Carsten Linnemann bewusst keine Regierungsämter anstreben. Sie wollen nicht durch eine »linke« Regierung beschädigt sein und später die Annäherung an die AfD anführen.
Es ist ein historischer Fehler der SPD, mit dieser Union, die autoritäre Züge hat, zu koalieren.
Das einzige, womit ich dabei nicht übereinstimme, ist das Wörtchen »später«, denn die Annäherung findet ja schon statt. Zeitgleich erleben wir, dass die AfD erstmals Ergebnisse zur Sonntagsfrage anführt. Erstmal nur bei einzelnen Umfrageinstituten aber es ist zu erwarten, dass eine Union, die sich als AfD-Light geriert zuallererst das Original legitimiert und stärkt1. Und das passt doch irgendwie alles zusammen, auch wenn es sich fast wie ein Verschwörungsmythos liest. Auch das zukünftige Kabinett Merz passt gut dazu.
Aus alledem zusammen leite ich besonders eines ab: dass sich jetzt links der CDU/CDU etwas tun muss. Wir haben jetzt bestenfalls noch vier Jahre Zeit, einem Mitte-Linksbündnis zu einer Mehrheit zu verhelfen, da die Union die AfD ansonsten in die Regierung heben wird.
Wie schaffen wir das? Keine Ahnung, ich stelle hier nur die unangenehmen Thesen auf. Aber links der Union ist ja eigentlich jede Menge Platz; den könnte man ja mal wieder besetzen. Die kommende Bundesregierung lässt bei »Mitte-Linksthemen« wie sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechten, Klimaschutz und Antifaschismus – trotz SPD-Beteiligung – praktisch alles unbeantwortet, was der Breite der Gesellschaft wirklich zu Gute käme — und damit implizit auch dem Rechtsruck entgegenwirken würde. Das macht aktuell nur Die Linke aber – entgegen aller Annahmen – kann sie den Rechtsruck wohl nicht alleine korrigieren2. Gerade die SPD muss (bitte, endlich) wieder zu ihren sozialdemokratischen Werten zurückfinden, sich endlich klar gegen den Rechtsruck positionieren und der Union nicht ohne Not das Steuer der Koalition überlassen. Das gilt besonders wegen der immerwährenden Gefahr des forcierten Koalitionsbruchs durch die Union. Die SPD hat sich mit dieser Koalition (nicht zum ersten Mal) an den Rand der Selbstabschaffung gebracht, weil sie erpressbar ist. Da braucht es von Merz nur noch einen kleine Schubs, und wie gut er das kann, hat er bereits bei der »Dammbruchabstimmung« der Union, FDP und AfD am 29. Januar 2025 unter Beweis gestellt. Da hatte Friedrich Merz im Vorfeld wiederholt betont, dass man ja mit SPD und Grünen habe zusammenarbeiten wollen. Aber mit den »grünen und linken Spinnern« war ja nichts zu machen, dann musste es eben mit der AfD sein. Lieber mit der AfD regieren als gar nicht regieren. Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.
Hier schockiert mich tatsächlich Realitätsverweigerung der Annäherungsbewegung. Wählerwanderungsanalysen, Politikwissenschaftler*innen, Historiker*innen – alle sind sich einig, dass eine rechtsextreme Politik vor allem dem Original hilft. Trotzdem wird die Normalisierung vorangetrieben. ↩︎
Überraschung: Ich bin selbst seit einigen Wochen Mitglied der Partei Die Linke. ↩︎
Die Wissenschaft und Wissenschaftler*innen sind nicht der Feind. Wir spielen im selben Team. Wir im Dienste der Gesellschaft. Unsere Aufgabe ist es, die Wahrheit zu finden, sie zu teilen und sie zu verteidigen. Wir nehmen eure Sorgen ernst und untersuchen sie gründlich. Wir dienen euch und sind nicht der Feind.
Politiker*innen und Regierungen sollten uns, die Wissenschaftler*innen und Expert*innen konsultieren, sodass sie Entscheidungen im Sinne der Gesellschaft treffen. Das passiert nicht immer und es wäre auch nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Wissenschaft Regierungen auf ihr Versagen hierbei zur Rede stellen müssen.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist unabhängig von Pharma-Konzernen. Diese brauchen zwar Menschen mit wissenschaftlicher Ausbildung und stellen diese ein, doch sie unterscheiden sich von der akademischen Gemeinschaft. Wir existieren, um vor genau vor diesen Unternehmen zu schützen. Denken wir z.B. an Francis Kelsey in den 1960er Jahren, die Thalidomide [den Wirkstoff des Medikaments Contergan] nicht zulassen wollte, weil es keine hinreichenden Beweise für seine Unbedenklichkeit gab. Oder an die Tschornobyl-Kernreaktorkatastrophe 1986, als der sovietische Staat Ausmaß und Gefahren des Unfalls zu vertuschen versuchte – vor der eigenen Bevölkerung und der Welt. Wir Wissenschaftler*innen, unabhängige Wissenschaftler*innen in und außerhalb der UdSSR, waren es, die die Wahrheit aufdeckten. Wir sammelten Daten, brachten Ergebnisse hervor und teilten sie, sodass die internationale Gemeinschaft angemessen auf die Krise reagieren und die Zerstörung soweit wie möglich eindämmen konnte.
Als Akademiker*innen verdienen wir gerade zu Beginn unserer Karriere oft weniger als den Mindestlohn. Wir profitieren nicht finanziell davon, ein Ergebnis einem anderen vorzuziehen. Privatunternehmen schon. Politiker*innen und politisch Entscheidungsträger auch.
Wissenschaft, so wie alle menschengemachten Institutionen, ist nicht komplett immun gegen Korruption. Doch die Wissenschaftsmethodik und der akademische Prozess sind so aufgebaut, dass sie sehr gut vor Korruption geschützt sind. Viel besser als Privatunternehmen und die Politik, wo Korruption nicht nur freizügig stattfindet sondern auch explizit belohnt wird. Das System ist dort so aufgestellt.
Wissenschaftler*innen stehen im Dienste der Gesellschaft und wir stehen mit ihr. Und das ist auch der Grund, warum wir eine der stärksten Waffen gegen Korruption und Ausnutzung sind. Das ist der Grund, warum man euch davon zu überzeugen versucht, Wissenschaftler*innen und Expert*innen nicht zu trauen. Das ist Absicht.